HIV-Übertragung unter Thearpie: Doch nicht so unwahrscheinlich?
von Prof. Pietro Vernazza, 21. Oktober 2010 / angepasst am 24. Oktober 2010
Eine Chinesische Studie hat in der Oktober-Ausgabe des JAIDS ein allgemeines Dogma in Frage gestellt: Eine HIV-Therapie soll das Risiko einer sexuellen Übertragung vor HIV nicht reduzieren!
Hohe HIV-Übetragungsrate ungeachtet der Therapie
In dieser Studie haben Partner von Menschen mit HIV nicht wesentlich seltener eine HIV-Infektion erlitten, wenn der infizierte Partner mit einer HIV-Therapie behandelt wurde. 1.927 serodifferente Paare wurden während 3 Jahren beobachtet. Der grösste Teil der HIV-Infizierten Partner (1.656) hatte bei Einschluss in die Studie bereits AIDS definierende Symptome. Die Übertragungsrate war mit 4,2% auffallend hoch mit insgesamt 84 Infektionen bei einem Partner, besonders unter dem Aspekt, dass etwa zwei Drittel der infizierten Partner unter einer HIV-Therapie standen. Hat die Therapie die Wahrscheinlichkeit einer Übertragungsrate nicht beeinflusst?
Müssen wir die HIV-Broschüren neu drucken?
Diese Resultate lassen aufhorchen: Wenn dies stimmen würde, so sind prominente Behauptungen wie das EKAF-Statement aber auch grosse Studien zum Nachweis der Wirksamkeit der Therapie (HPTN 052 resp. die Europ. PARTNERS studie) in Frage gestellt. Wir müssten wohl unsere Broschüren auch neu drucken. Doch so schnell geht's dann auch wieder nicht.
Therapie ist nicht Therapie
Es lohnt sich genauer hinzuschauen. Tatsächlich war die Transmissionsrate von Partnern, die behandelt waren, mit 4,8% sogar grösser als bei den nicht behandelten (3,2%). Es wird allerdings nicht klar, weshalb die Autoren das relative Transmissions-Risiko unter ART mit diesen Zahlen sogar kleiner angeben (0,76). Doch das Problem der Studie dürfte das ganze Setting sein. Untersucht wurden die negativen (verheirateten!) Partner von bekannt HIV-positiven Personen, die aus einem Behandlungszentrum bekannt waren. Doch letztendlich basierten die Angaben für die Studie lediglich auf den Angaben der HIV-negativen Partner. Diese wurden alle 6 Monate nachkontrolliert. Die Angaben über die Therapie waren bescheiden. Die Partner hatten in der Befragung angegeben, dass ihr HIV-infizierter Partner unter einer HIV-Therapie stand. Mehr Informationen waren nicht verfügbar, also ob es sich um eine gut wirksame Dreierkombination handelte, ob die HIV-pos. Partner die Medikamente auch wirklich eingenommen hatten, ob die Therapie auch gewirkt hat, etc. Wichtiger noch: bei den 84 Partnern, die mit HIV-infiziert wurden, wurde nicht mittels genetischer Untersuchung nachgewiesen, dass es sich tatsächlich um dassselbe Virus gehandelt hat. Wir können also bei den 84 infizierten nicht einmal mit Sicherheit nachweisen, dass es tatsächlich zwischen den beiden verheirateten Partnern zur Übertragung kam und dass nicht eine dritte Person im Spiel war....
Studie liefert nützliche Informationen
Dennoch, die Studie hat einige interessante Daten generiert: Eine grosse Überraschung war die Tatsache, dass die Transmissionsrate über die Zeit nicht kleiner, eher grösser wurde. Bisher sind wir davon ausgegangen, dass in einer Partnerschaft mit der zeit eine gewissen Immunität gegen das Virus des Partners aufgebaut wird. Dies müsste dann vor einer Infektion schützen und das Risiko einer Infektion müsste mit der Zeit geringer werden. Es ist möglich, dass die Paare schon so lange zusammen waren, dass diese Wirkung nicht mehr messbar war. Falls tatsächlich fremde Partner im Spiel waren, so ist die Tendenz des zunehmenden Risikos natürlich gut erklärt. Auch die Tatsache, dass diese Patienten in einem Fortgeschrittenen AIDS Stadium waren, könnte das Transmissionsrisiko in späten Stadien erhöht haben.
Eindeutig war die Wirkung des präventiven Verhaltens. Kondomgebrauch war klar mit einer geringeren Transmissionrate assoziiert. Dieses "gesunde" Verhalten schützt natürlich auch vor einer Infektion mit fremden Personen, falls die Personen mit gutem Präventionsverhalten dies auch be anderen Partnerschaften anwenden.
Keine definitive Aussage
Sicher kann uns diese Studie aus China die Frage der Transmissionsrate unter Therapie nicht sicher beantworten. Die Studie zeigt aber, was wichtig ist in einer solchen Studie: Eine ganz präzise Dokumentation der einzelnen Transmissionsereignisse, ein Nachweis des gleichen Virus und eine Untersuchung der Therapie und Viruslast bei der Indexperson in der Zeit der möglichen Transmission. Wir haben noch mehr zu tun....
Quellen
* Wang et al, JAIDS 1.10.2010, S 232ff
* Cohen MS, JAIDS 1.10.2010 (Editorial)
http://www.infekt.ch/kategorie…nlich.html
von Prof. Pietro Vernazza, 21. Oktober 2010 / angepasst am 24. Oktober 2010
Eine Chinesische Studie hat in der Oktober-Ausgabe des JAIDS ein allgemeines Dogma in Frage gestellt: Eine HIV-Therapie soll das Risiko einer sexuellen Übertragung vor HIV nicht reduzieren!
Hohe HIV-Übetragungsrate ungeachtet der Therapie
In dieser Studie haben Partner von Menschen mit HIV nicht wesentlich seltener eine HIV-Infektion erlitten, wenn der infizierte Partner mit einer HIV-Therapie behandelt wurde. 1.927 serodifferente Paare wurden während 3 Jahren beobachtet. Der grösste Teil der HIV-Infizierten Partner (1.656) hatte bei Einschluss in die Studie bereits AIDS definierende Symptome. Die Übertragungsrate war mit 4,2% auffallend hoch mit insgesamt 84 Infektionen bei einem Partner, besonders unter dem Aspekt, dass etwa zwei Drittel der infizierten Partner unter einer HIV-Therapie standen. Hat die Therapie die Wahrscheinlichkeit einer Übertragungsrate nicht beeinflusst?
Müssen wir die HIV-Broschüren neu drucken?
Diese Resultate lassen aufhorchen: Wenn dies stimmen würde, so sind prominente Behauptungen wie das EKAF-Statement aber auch grosse Studien zum Nachweis der Wirksamkeit der Therapie (HPTN 052 resp. die Europ. PARTNERS studie) in Frage gestellt. Wir müssten wohl unsere Broschüren auch neu drucken. Doch so schnell geht's dann auch wieder nicht.
Therapie ist nicht Therapie
Es lohnt sich genauer hinzuschauen. Tatsächlich war die Transmissionsrate von Partnern, die behandelt waren, mit 4,8% sogar grösser als bei den nicht behandelten (3,2%). Es wird allerdings nicht klar, weshalb die Autoren das relative Transmissions-Risiko unter ART mit diesen Zahlen sogar kleiner angeben (0,76). Doch das Problem der Studie dürfte das ganze Setting sein. Untersucht wurden die negativen (verheirateten!) Partner von bekannt HIV-positiven Personen, die aus einem Behandlungszentrum bekannt waren. Doch letztendlich basierten die Angaben für die Studie lediglich auf den Angaben der HIV-negativen Partner. Diese wurden alle 6 Monate nachkontrolliert. Die Angaben über die Therapie waren bescheiden. Die Partner hatten in der Befragung angegeben, dass ihr HIV-infizierter Partner unter einer HIV-Therapie stand. Mehr Informationen waren nicht verfügbar, also ob es sich um eine gut wirksame Dreierkombination handelte, ob die HIV-pos. Partner die Medikamente auch wirklich eingenommen hatten, ob die Therapie auch gewirkt hat, etc. Wichtiger noch: bei den 84 Partnern, die mit HIV-infiziert wurden, wurde nicht mittels genetischer Untersuchung nachgewiesen, dass es sich tatsächlich um dassselbe Virus gehandelt hat. Wir können also bei den 84 infizierten nicht einmal mit Sicherheit nachweisen, dass es tatsächlich zwischen den beiden verheirateten Partnern zur Übertragung kam und dass nicht eine dritte Person im Spiel war....
Studie liefert nützliche Informationen
Dennoch, die Studie hat einige interessante Daten generiert: Eine grosse Überraschung war die Tatsache, dass die Transmissionsrate über die Zeit nicht kleiner, eher grösser wurde. Bisher sind wir davon ausgegangen, dass in einer Partnerschaft mit der zeit eine gewissen Immunität gegen das Virus des Partners aufgebaut wird. Dies müsste dann vor einer Infektion schützen und das Risiko einer Infektion müsste mit der Zeit geringer werden. Es ist möglich, dass die Paare schon so lange zusammen waren, dass diese Wirkung nicht mehr messbar war. Falls tatsächlich fremde Partner im Spiel waren, so ist die Tendenz des zunehmenden Risikos natürlich gut erklärt. Auch die Tatsache, dass diese Patienten in einem Fortgeschrittenen AIDS Stadium waren, könnte das Transmissionsrisiko in späten Stadien erhöht haben.
Eindeutig war die Wirkung des präventiven Verhaltens. Kondomgebrauch war klar mit einer geringeren Transmissionrate assoziiert. Dieses "gesunde" Verhalten schützt natürlich auch vor einer Infektion mit fremden Personen, falls die Personen mit gutem Präventionsverhalten dies auch be anderen Partnerschaften anwenden.
Keine definitive Aussage
Sicher kann uns diese Studie aus China die Frage der Transmissionsrate unter Therapie nicht sicher beantworten. Die Studie zeigt aber, was wichtig ist in einer solchen Studie: Eine ganz präzise Dokumentation der einzelnen Transmissionsereignisse, ein Nachweis des gleichen Virus und eine Untersuchung der Therapie und Viruslast bei der Indexperson in der Zeit der möglichen Transmission. Wir haben noch mehr zu tun....
Quellen
* Wang et al, JAIDS 1.10.2010, S 232ff
* Cohen MS, JAIDS 1.10.2010 (Editorial)
http://www.infekt.ch/kategorie…nlich.html